STUDIENPLAN ARCHITEKTUR
0.1 laut AV (AIK f. W, N, B) über
ein Treffen von Vertretern der Studienkommission der Studienrichtung
Architektur an der TU Wien mit Kammervertretern
1999 06 22 beauftragt die Bundeskammer den Verfasser mit der Ausarbeitung
eines Positionspapiers der Kammer bis September 1999.
Nun so sei es.
0.2 Grunddaten des
Verfassers:
Studium 1962 –1970 als Werkstudent an der TU Wien
1971 - 1974 Vertragsassistent am Institut für Städtebau..... TU Wien
1974 - 1979 Beschäftigt im Architekturbüro Marschalek – Ladstätter – Gantar
seit 1979 eigenes Architekturbüro in Wien
Offene Bürostruktur mit weitgehender Mitarbeitermitbestimmung.
0.3 Quellen,
Gedankenviren zum Thema:
Nachdenken über eigenes Studium
Erfahrung der Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis seit 1970
Gespräche mit Kollegen, Professoren, Assistenten, Studenten,
mit Mitarbeitern (Absolventen, Studenten)
mit Auftraggebern
(leider hat sich im Kontakt mit Ferialpraktikanten die aus betriebsinternen
Gründen erforderliche Hürde von CAD Kenntnissen ergeben, so dass Kontakte mit
Studienbeginnern kaum mehr stattfinden).
·
Ein Absolvent (HS für angewandte Kunst) hat noch nie einen Ziegel
in der Hand gehabt und weigert sich bauphysikalische Erkenntnisse zu akzeptieren.
·
Ein Student mit 14 Semester ist nicht imstande Bestandsplan einer
Wohnung zu zeichnen.
Die Mehrzahl der Studenten und Absolventen (solche mit HTL-Vorbildung
ausgenommen) wissen über das Erfordernis von Planinhalten nicht Bescheid. Es ist
an der Zeit auf den Wert der ergänzenden Architektenausbildung in den Büros
hinzuweisen.
·
Durchschnittliche Mitarbeiter sind plötzlich motivierbar und
werden sogar Förderungspreisträger.
0.5
Trends
·
Die Entwurfsfähigkeiten verbessern sich
·
Die umfassende Betrachtungsweise bis hin zu städtebaulichen und
ökologischen Aspekten verbessert sich.
·
EDV und insbes. CAD-Kenntnisse vermehren sich. In der
Computeranimation werden bereits ab dem vierten Semester Spitzenleistungen
erbracht. Der Umgang mit dem Medium Internet ist weitgehend Standard.
·
Die Fähigkeit
ausführungsreife Details zu erarbeiten, Gesetzes- und Normenkenntnisse sind
unterentwickelt.
· Nur wenige werden mit der Diskrepanz zwischen optimistischer Zielvorstellung und Realität fertig.
1. Ziel
der Ausbildung soll sein, dass Absolventen sich im weiten Fachgebiet
Architektur selbstsicher und daher selbstbewusst, aber auch verantwortlich
bewegen können (egal ob als freischaffender Architekt, als prüfender Beamter
oder als Kritiker).
Die Weite und Vielschichtigkeit des Aufgabenbereiches Architektur erfordert
primär die Ausbildung zum Generalisten und zwar sowohl hinsichtlich theoretischen
Kenntnissen als auch der Praxistauglichkeit. Nur so kann das Gespür
für Zusammenhänge (Einzelobjekte - Stadtgefüge, Ökologie etc.) entwickelt
werden. Spezialisierungen können über Wahlfächer bzw. postgraduate studies
erreicht werden.
Die Komplexität des erforderlichen Grundwissens ist bereits bei der
vorgeschriebenen Studiendauer von 10 Semestern schwer zu vermitteln. Ein
Bakkalaureatsstudium von 6 Semestern bzw. FH – Lehrgänge sind daher nicht
sinnvoll. Halbwissen ist in der Praxis unbrauchbar.
Das für den technischen Unter- und Mittelbau erforderliche Wissen kann mittels
HTL – Lehre und anschließender Praxis ausreichend erworben werden.
Es wäre unverantwortlich nur zur Hebung der Akademiker-Quote unzureichende
Ausbildungswege zu fördern.
Zur Befriedigung der österreichischen Titelsucht ist die Verleihung von FH –
Graden an qualifizierten HTL – Techniker denkbar.
Am
wichtigsten ist jedoch die Fähigkeit zu vermitteln, Wissen zu erlangen, gezielt
die richtigen Informationen zu erhalten, Zusammenhänge zu erkennen und neue
Verknüpfungen herzustellen.
Ein Teil des vermittelten Wissens wird bei Studierenden bereits überholt sein.
Es sind daher Absolventen mit der Fähigkeit und Bereitschaft zu lebenslangem
Lernen gefragt.
Kreativität
Ein weiteres wesentliches Qualitätsmerkmal von Architekten ist ihr Kreativität.
Das schöpferische Potential der Studierenden ist freizulegen und
zu fördern. Die nicht nur bezüglich Gestaltungsaufgaben sondern in allen
Bereichen wie z. B. bei funktionellen Optimierungen, im Konstruktiven etc. bis
hin zu Innovationen im Managementsektor und bei der Ausarbeitung von
Gesetzesvorschlägen.
Nur so kann der künftige Architekt seine traditionelle Rolle als kritischer
Impulsgeber innerhalb der Gesellschaft einnehmen.
Es ist aber auch von dieser Gesellschaft einzufordern, im Sinne einer
ausgewogenen Ökonomie, den Einsatz dieser Fähigkeiten zu ermöglichen!
2.
Der Weg
Den Studienbeginnern sind Berufsaussichten und – schwierigkeiten schonungslos
offen mitzuteilen. Nur wer wirklich Architekt werden will, ist imstande die
nötige Robustheit zur Bewältigung des künftigen Berufslebens zu entwickeln.
In einer Situation von vorgegebenen 10 Semestern für die Ausbildung bei
laufender Zunahme des Wissensstoffes ist dessen Vermittlung professionell zu
rationalisieren. (Vielleicht bewirkt eine optimale Rationalisierung sogar eine
Verkürzung der theoretischen Studiendauer)
Vorgeschlagen wird die Aufbereitung des Lehrstoffes mittels Skripten bzw. über
Internet. Die Kontrolle der Inhaltsverarbeitung soll paketweise in
Diskussionsrunden unterstützt durch Fallbeispiele erfolgen. Dabei können
Rhetorik, Kritikfähigkeit und Argumentation geschult werden. Diese
Vorgangsweise ermöglicht das Eingehen auf unterschiedliche
Lerngeschwindigkeiten. Hinsichtlich einer optimalen Ausschöpfung des Potentials
der Studierenden sollten Qualitätsstandard hoch angesetzt, knock out – Hürden
aber vermieden werden.
Wichtig ist der Bezug zur Praxis. Baustellenkenntnisse sollten
spätestens während des Studiums erlangt werden. Günstig wäre eine
Doppelperspektive als Arbeiter und als Überwachungsorgan.
Büropraxis sollte so früh als möglich angestrebt werden. Dies auch als
eine Art erweiterter Eignungstest.
Behördenkenntnisse sollten sowohl als Praktikant in einem Amt als auch
als Vertreter eines Projektes gegenüber einer Behörde erlangt werden.
Sinnvoll ist auch der Kontakt mit der Bevölkerung (den Beplanten). Ein solcher
lässt sich am ehesten im Rahmen einer städtebaulichen Bearbeitung herstellen.
Die Teilnahme an Wettbewerben als anrechenbare Entwurfsarbeit ist eine weitere
Praxismöglichkeit.
Weiters ist zur selbständigen Tätigkeit zu ermuntern und diese zu fördern
(obwohl solche Aktivitäten derzeit geringschätzig als Pfusch bezeichnet
werden).
Zur Absicherung der Ausbildungsqualität ist eine permanente Kontrolle
erforderlich. Dabei darf auf die beschränkte Beschleunigungsfähigkeit von
Studienkommissionen und Behörden keine Rücksicht genommen werden. Maßstab ist
die Internationale Entwicklungsgeschwindigkeit.
Standards sind zu fixieren und bei auftretenden Entwicklungsschüben sofort zu adaptieren.
Zielsetzung sollte sein, dass österreichischen Vorgaben Grundlagen für
internationalen Standards werden. In diesem Sinne ist auch die
Forschungstätigkeit zu animieren. Das bedeutet aber auch, dass nicht nur
Qualifikation der Studienarbeiten sondern auch die Qualifikation der Lehrenden
und Forschenden ständig zu überprüfen ist. Die Absolventen müssen sich ohnedies
laufend im rauhen Wind des freien Marktes bewähren. Ergebnisse der
Forschungstätigkeit und der Kontrolle sind laufend zu veröffentlichen.
Die Studienarbeiten sind durch Theoretiker und Praktiker zu begleiten. So früh
als möglich sollten ergänzende Sonderfachleute (z. B. Statiker, Haustechniker,
Soziologen etc.) - wie im Berufsleben auch – herangezogen werden. Das Arbeiten
in interdisziplinären Teams ist bereits in den ersten Semestern anzustreben. Es
muss Ausbildungsziel sein, die unterschiedlichen Fachsprachen und Denkmuster
zumindest im Ansatz kennenzulernen und Berührungsängste abzubauen.
Möglichst viele international bekannte Architekten sollten ihre individuellen
Entwurfsmethoden den Studierenden vermitteln.
Jede Studienaufgabe sollte gesamtheitlich betrachtet werden. Das heißt, dass z.
B. beim Entwurf eines Einzelhauses auch die städtebaulichen, ökologischen etc.
Auswirkungen zu beachten sind sowie die Konstruktiven und Ökonomischen Aspekte.
Dies erfordert eine begleitende Betreuung durch die entsprechenden Institute.
Die Fähigkeit gruppendynamische Prozesse intelligent zu steuern, ist ein
wesentlicher Startvorteil für das künftige Berufsleben. Die öffentliche
Projektspräsentation ist anzustreben. (Entwurfsverteidigung durch die
Verfasser).
Neben den interdisziplinären Bearbeitungen sind aber auch Einzelbearbeitungen
als bewusste Hürdenbewältigung vorzusehen, da im Team eigene Mängel leicht
versteckt werden können.
3. Die Inhalte
3.1
Voraussetzungen:
AHS – Wissen mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung
= breites Allgemeinwissen
+ Mathematik, Darstellender Geometrie
+ EDV – Grundkenntnisse
+ Kunstgeschichte, Künstlerisches Arbeiten
Zu den Klagen über mangelnde Universitätsreife der AHS –Absolventen ist
festzustellen, dass ein festgelegter minimaler Qualitätsstandard von den
Höheren Schulen einzufordern ist.
Die folgende Auflistung der Mindeststudieninhalte ist in vier Hauptgruppen und
eine Ergänzungsgruppe gegliedert. Die Themen werden ohne zeitliche Gewichtung
und Zuordnung aufgelistet. Die Knochenarbeit einer möglichst sinnvollen
fachlichen Vernetzung und zeitlichen Abstimmung ist noch zu tun. Die Fächer
Mathematik und Darstellende Geometrie werden bewusst weggelassen, da das AHS -
Wissen ausreicht und die neuen 3D – Programme weitaus mehr Möglichkeiten öffnen
als manuelle Konstruktionsmethoden. Wichtig für wissenschaftliches und
praktisches Arbeiten wäre ein Pflichtfach Statistik.
3.2 Architektur, Innenraum
Funktionen - Lösungen -
Elemente - Gestaltung
Zelt, Raum - Möbel
Wohnung, Raumfolgen – Einrichtung
Arbeitsplatz – Einrichtung
Addition, Mischung von Nutzungseinheiten,
Nutzungsflexible Strukturen
Sondercontainer: Industrie, Landwirtschaft
Unterricht, Kultur, Sakralbauten, Medizin
Sport
Verkehrsbauten: Garagen, Strassen, Brücken
Bahnhöfe, Airports, Häfen, Kraftwerke
Architekturtheorie im Konnex mit Kulturgeschichte
3.3
Städtebau, Freiraum- und Landschaftsplanung, Raumplanung
Geschichte des Städtebaus (der Landschaftsplanung etc.) inkl. Theorien und Zukunftsaspekten
Typologie der Städte, Landschaften und deren Elemente
Verkehrsplanung, Infrastrukturplanung
Städtebauliche Rahmenbedingungen (von Klima bis Bevölkerungsentwicklung und
Budget)
Einführung in die international gebräuchlichen Planungsinstrumentarien und
kritische Bewertung deren Effizienz (Bebauungsplan, Flächenwidmung,
Entwicklungskonzepte, Strategiekonzepte etc. eventuell in Zusammenarbeit mit
Univ. für Wirtschaftswissenschaften)
Stadtsanierung, Altstadterhaltung
Einführung in Prognostik bzw. Futurologie
3.4
Bautechnik (inkl. Tiefbau)
Konstruktionssysteme: Holz, Mauerwerk, Beton, Stahl, Leichtbauweisen, Trends;
empfohlene Anwendung, Kosten, Historischen Systeme, Statik (nur Grundbegriffe,
es genügt das Gefühl für Kräfteverlauf und Dimensionierung, Faustformeln)
Fehlerquellen, Sanierung, Kosten
Haustechnik:
Klimatechnik,
Ver- und Entsorgung, Alarmanlagen
Überwachung, Fördertechnik, Beleuchtungstechnik
Niedrigenergietechnologie
Bauphysik, Akustik, Bodenmechanik
3.5
Projektentwicklung und Baumanagement
Zielfestlegung (Definition der Aufgabe)
Grundlagenbeschaffung, Analyse, Vorentwurf, Entwurf,
Einreichung und sonstige behördliche Bewilligungsverfahren, Kostenschätzung
Ausführungsplanung, Terminplanung, Finanzierungsfragen
Koordinierung der Sonderfachleute, Projektmanagement
Generalplanung
Bauaufsicht und Bauabwicklung
Vergabewesen, Sicherheit, Kalkulation
Normen, Mängel, Haftung
Qualitätsmanagement (QM)
Präsentation und Öffentlichkeitsarbeit
3.6
Ergänzende Inhalte
Statistik, Vermessungskunde, Soziologie, Psychologie, Ökologie, Ökonomie,
Futurologie
Rechtslehre,
Neue Medien
Raumsimulation (Zeichnen, Modellbau, Animation),
Kreativtraining, Kunst und Bau
Gutachten
Büroführung
Englisch (Architektur, Bautechnik und Vertragswesen)
Bauen in anderen Klima- und Kulturzonen
Wien, August 1999
Arch. DI Bernd Stanzel